Veranstaltung "Deutschland hat Zukunft" am 03. Mai 2023

Gutachten "Bildung und berufliche Souveränität"

Berufliche Souveränität ist ein wichtiges Entwicklungsziel für jeden Menschen und bezeichnet Kompetenzen der selbstbestimmten Berufswahl und -ausübung. Individuelle Ausbildungsreife, Berufswahlbereitschaft und -kompetenz sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufsorientierung. Der Aktionsrat Bildung beschäftigt sich in seinem neuen Gutachten mit der Frage, welche Konzepte und Strategien dazu beitragen können, sowohl auf individueller als auch auf der Ebene der Bildungseinrichtungen berufliche Souveränität zu stärken. Das Gutachten wurde am 03. Mai 2023 im Rahmen eines hybriden Kongresses im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München vorgestellt.

Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Präsidenten der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Wolfram Hatz, der die Bedeutung von beruflicher Souveränität für Individuum, Gesellschaft und Unternehmen betonte und die Schlüsselrolle des Bildungssystems bei deren Vermittlung unterstrich. Angesichts des aktuellen Fach- und Arbeitskräftemangels werde die Bedeutung von beruflicher Souveränität weiter zunehmen. Im Anschluss führte Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg und Vorsitzender des Aktionsrats Bildung, in seinem Vortrag „Bildungsauftrag berufliche Souveränität“ in die Inhalte des Gutachtens ein. Unter beruflicher Souveränität verstehe der Aktionsrat Bildung die Möglichkeit einer Person, ihre Berufswahl und Berufsausübung selbstbestimmt und kompetent zu vollziehen. 

Die Inhalte des Gutachtens wurden von weiteren Mitgliedern des Aktionsrats Bildung vorgestellt: Die psychologischen Hintergründe der beruflichen Souveränität erläuterte Prof. Dr. Bettina Hannover, Leiterin des Arbeitsbereichs Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin. Bei der Stärkung von beruflicher Souveränität gehe es um eine möglichst hohe Übereinstimmung zwischen den Bedarfen des Arbeitsmarktes und den Interessen sowie Fähigkeiten des Individuums. Um berufliche Souveränität zu fördern, müsse das Bildungssystem noch durchlässiger werden und eine breite Förderung verschiedener Kompetenzen ohne zu frühe Spezialisierungen erfolgen. 

Prof. Dr. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des Institutes für Schulentwicklungsforschung an der Technische Universität Dortmund, ging auf die Bedeutsamkeit von Potenzialen in der Frühen Bildung durch die Schaffung entsprechender motivationaler Grundlagen ein und betonte die Entwicklung von Wissen über Berufstätigkeit und Berufe. Anschließend benannte sie im Primarbereich die maßgeblichen Entwicklungsprozesse für die Berufsorientierung in späteren Lebensphasen. Im Fokus dieser Bildungsphase stehe die Förderung berufswahlrelevanter Vorläuferkompetenzen sowie Geschlecht und soziale Herkunft als wichtige Faktoren der Selbst- und Fremdwahrnehmung für die Berufswünsche von Kindern. Im Sekundarbereich haben geschlechtsspezifische Vorstellungen über passende Berufe für Mädchen und Jungen eine weiterhin große Bedeutung. Ebenso wie die Berufsaspirationen der Eltern für ihre Kinder. Die Schule habe hier laut dem Aktionsrat Bildung die Aufgabe, u. a. den Berufsbezug und  berufspraktische Erfahrungen in Schule und Unterricht zu stärken. 

Die zentralen Herausforderungen für die Hochschule und Weiterbildung wurden von Prof. Dr. Monika Jungbauer-Gans, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), vorgestellt. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland 28 Prozent der Studierenden, an Universitäten 32 Prozent und an Hochschulen für angewandte Wissenschaften 25 Prozent, ihr Studium abbrechen, betonte sie, dass nicht nur Studienerfolg, sondern auch eine souveräne Korrektur einer vorherigen Entscheidung durch Studiengang-, Hochschul- oder Fachwechsel ein Ausdruck beruflicher Souveränität sein kann. Um die hohen Abbruchquoten zu senken, sollten Frühwarnsystemen in Prüfungsämtern implemntiert werden und eine gezielte verbindliche Beratung abbruchgefährdeter Studierender stattfinden. Für die berufliche Orientierung in der Weiterbildung nannte Prof. Jungbauer-Gans die Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt, die Befähigung zum Umgang mit sich rasch wandelnden beruflichen Herausforderungen sowie die Entwicklung eines starken beruflichen Selbstverständnisses und einer sicheren beruflichen Identität. Als Handlungsempfehlungen wurde die Bedeutung von lebenslangem Lernen, eine enge Kooperation in der Weiterbildung mit Unternehmen und die Modularisierung von Lernangeboten hervorgehoben. 

Die Präsentationen der Mitglieder des Aktionsrats Bildung wurden abgerundet durch eine Vorstellung von Praxisbeispielen. Wie berufliche Orientierung erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigten die Krötensee Mittelschule in Sulzbach-Rosenberg, das Lloyd Gymnasiums Bremerhaven sowie die Axel-Bruns-Schule Celle.

Anschließend gab Prof. Alexander Lorz, Mitglied des Präsidiums der KMK, in seinem digitalen Vortrag  Einblicke in die Sichtweise der KMK zum Thema. Berufliche Orientierung müsse so früh wie möglich und praxisorientiert erfolgen sowie auf die persönlichen Neigungen der Schülerinnen und Schüler eingehen. Er plädierte für hochwertige, längere Berufspraktika in der Sekundarstufe und forderte mehr Freiraum in den Schulen für die Umsetzung beruflicher Orientierung. 

Die Veranstaltung wurde von einer Podiumsdiskussion abgerundet, die von Alexander Hagelüken (leitender Redakteur Wirtschaftspolitik, Süddeutsche Zeitung) moderiert wurde. An der Gesprächsrunde nahmen teil:

Prof. Dr. Michael Piazolo MdL (Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus), Jürgen Böhm (Vorsitzender des deutschen Realschullehrerverbandes, München), Prof. Dr. Ludger Wößmann (Professor für Volkswirtschaftslehre, Ludwig-Maximilians-Universität München, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, München), Nedjmije Bajrami (Fachkoordinatorin für Inneres, Bundesschülerkonferenz, Berlin) sowie Dr. Christof Prechtl (stellvertretender Hauptgeschäftsführer der vbw und Leiter der Abteilung Bildung, Arbeitsmarkt, Fachkräftesicherung und Integration). Gemeinsam diskutierten sie, durch welche Maßnahmen berufliche Souveränität vermittelt werden kann. Dr. Christof Prechtl verwies auf den eklatanten Arbeits- und Fachkräftsmangel in Bayern hin und forderte eine flächendeckende Einführung von Qualitätsmanagementsystemen in Bezug auf berufliche Orientierung. Zudem betonte er die Bedeutung von fächer- und jahrgangsübergreifender Berufsorientierung. Prof. Ludger Wößmann wies darauf hin, dass sich eine hohe Anzahl Jugendlicher für einen Beruf mit starker Automatisierungsentwicklung entscheide, so dass ein Bewusstsein für berufliche Umorientierung im Laufe des Berufslebens geschaffen werden muss. Jürgen Böhm sprach sich dafür aus, ein Klima für ein ökonomisches Grundverständnis an Schulen zu etablieren. Dafür sei es notwendig, dass Berufsorientierung praxisnah von Experten aus Wirtschaft und Unternehmen in den Schulen vermittelt werde. Nedjmije Bajrami wies auf die Bedeutung einer fundierten Vor- und Nachbereitung von Praktika an den Schulen hin. Dass ein Beruf auch Freude machen sollte und damit intrinsische Motivation als größter Motor für einen erfolgreichen Berufsweg darstellen kann, betonte Prof. Michael Piazolo. Auch der Kultusminister befürwortete den vermehrten Einsatz von externen Partnern in den Schulen, um den Schülerinnen und Schülern ein breites Spektrum an Berufen darstellen zu können. 

Unter www.vbw-aktionsrat-bildung.de finden Sie das Best-of-Video zur Veranstaltung sowie weiterführende Informationen zum Gutachten.

Das Gutachten zum Download finden Sie hier.